Wenn ihr auf eigene Verantwortung im freien Skiraum unterwegs seid, dann ist es eure Pflicht das Gelände in dem ihr euch bewegt einschätzen zu können. Letztes Wochenende gab es wieder eine Vielzahl unnötiger Lawinenabgänge. Sich selbst einzuschätzen ist jedoch die erste und wichtigste Einschätzung. Nachdem wir uns in Teil 1 – Grundlagen mit den unterschiedlichen Schichten befasst habt, geht es jetzt um eure Verantwortung am Berg. Lernt euch selbst zu vertrauen indem ihr Wissen ansammelt und seid achtsam mit wem ihr unterwegs seid. Diese Artikelserie ist kein Ersatz für euer Selbststudium, sondern soll vielmehr erfahrene Freerider an Grundlagen erinnern und Anfänger motivieren sich umfassend zu informieren, bzw. einen Guide aufzusuchen. Eine Statistik in Trempers Buch zeigt, dass der Faktor Mensch der häufigste Primärfaktor für Lawinenunglücke ist.
Am letzten Samstag kam es allein in Tirol zu fast 20 Lawinenereignissen mit Personenbeteiligung. In diesem Artikel der Tiroler Tageszeitung sind alle Ereignisse aufgelistet. Mich erschreckt dabei besonders wie viele Unfälle geschehen sind, bei denen absolut keine Sicherheitsausrüstung getragen wurde. Das dennoch viele davon mit dem Leben davon gekommen sind, verdanken sie entweder dem Einsatz anderer Gruppen mit Lawinenkentnissen oder dem Ausrücken der Bergwacht.
Auch der Unfall in der Wattener Lizum wird gerade stark in der Öffentlichkeit diskutiert. Bei der Tour im Rahmen eines Freeridecamps mit Bergführern bezahlten fünf Personen das Risiko im freien Gelände mit dem Tod. Ich kann nicht über die Entscheidung der Bergführer urteilen, da ich nicht dabei war. Für mich persönlich wäre diese Tour an diesem Tag jedoch nicht in Frage gekommen. Im Lagebericht wurde vor der Instabilität der Schneedecke durch die starken Temperaturschwankungen (erst kalt, dann Schnee, dann warm, dann wieder kalt) gewarnt und auch der Hüttenwirt hat scheinbar die Gruppe vor dem steilen Gefälle gewarnt. Schon bei der Tourenplanung geht eure eigene Risikoeinschätzung los. Besonders erstaunt mich in diesem Fall vom Wochenende jedoch die Aussage von einem der verantwortlichen Organisatoren. Gegenüber der tschechischen Nachrichtenagentur CTK, erklärte er, dass bei Warnstufe drei von fünf ganz gewöhnlich Freerider und Tourengeher unterwegs sind. Für eine erfahrene Gruppe, sei es daher relativ sicher sich bei diesen Bedingungen unterwegs zu sein, denn schließlich hätte die Gruppe auch Kompressionstests durchgeführt.
Durch solche Aussagen, egal ob sie von Profis oder Einsteigern stammen, wird das Risiko beim Powdern bagatellisiert. Wie ich schon erwähnt habe, ist es nicht in meinem Sinn dieses Unglück zu beurteilen. Vielmehr geht es mir darum in jedem Freerider oder Tourengeher das eigene Bewusstsein für die Tragweite der eigenen Entscheidungen zu schärfen. Sich auf die Zahl der Warnstufe zu verlassen und einfach loszuziehen ist russisches Roulette. Wer so handelt, der verlässt sich nur auf sein Glück und die Hilfe der Anderen. Die meisten Unglücke geschehen übrigens bei Warnstufe drei. Es geht bei der Gefahreneinschätzung um jedes Wort in der Beschreibung des Lageberichts. Die Formulierungen sind normiert und wer sich regelmäßig über die aktuelle Situation sowie das eigene Hintergrundwissen kümmert, der versteht die entscheidenden Details. Stellt euch vor ihr seht euch die Tagesthemen im Fernsehen an ohne zu wissen was eine Regierung, eine Kanzlerin oder ein Staat ist. Dann geht ihr mit diesen Informationen am nächsten Tag Berlin, seid plötzlich selbst Kanzler oder Kanzlerin und trefft Entscheidungen aufgrund der Lottozahlen vom Vortag. Ich glaube das geht schief.
Los geht es damit ganz klar schon bevor ihr im Schnee steht. Wer auf eigene Faust ins Gelände will sollte am besten den ganzen Winter über ein Auge auf die Entwicklung der Schneedecke haben. Regelmäßig die Vorhersagen von Morris zu lesen verschafft euch einen guten Gesamteindruck über den Schnee in den Alpen. Der nächste Schritt ist die Tourenplanung selbst. Ihr habt euch für ein Gebiet zum Freeriden oder Touren entschieden? Dann sucht euch den passenden Lagebericht (hier z.B. eine Übersicht für Österreich) heraus und lest am besten auch über ein paar Tage davor. Wenn dann morgens der aktuelle Bericht kommt, sollte im Text eigentlich keine große Überraschung mehr für euch vorkommen. Ausnahmen gibt es, wenn es zum Beispiel über Nacht gestürmt hat und Neuschnee oder Verfrachtungen eine ganz neue Situation bringen. Jetzt seid ihr also am Berg, steht vor der ersten unbefahrbaren Off-Piste Abfahrt und müsst entscheiden ob es sinnvoll ist oder nicht den Hang zu fahren. Ihr habt vielleicht sogar schon ein paar Abfahrten näher an der Piste hinter euch und habt ein super Gefühl. Eure Gruppe brennt darauf in den Hang zu fahren, hinter euch kommt vielleicht schon die nächsten 10 und wollen euch eure Lines streitig machen. Das ist der schwierigste und wichtigste Moment im Entscheidungsprozess: Stoke vs. Vernunft. Bitte habt selbst die Geduld mit klarem Kopf alle Kriterien abzuwägen und fahrt nur mit Leuten ins Gelände, die auch genauso geduldig sind. Schwere Fehler sind nicht zu korrigieren und haben gravierende Folgen.
Bruce Tremper berichtet in seinem Buch „Staying Alive in Avalanche Terrain“ davon, dass eine zwischen 1990 und 2000 durchgeführte Studie den Faktor Mensch als gravierendstes Unfallkriterium verdeutlicht. Von 41 Fällen war menschliches Fehlverhalten in 34 Situationen der primäre Grund für das Unglück. Nur sieben mal waren Schneedecken-, Wetter- oder Geländefaktoren der Hauptgrund für das Unglück. In 15 Fällen war es übrigen Selbstüberschätzung die zur Katastrophe führte.
Zu den menschlichen Faktoren die eine Rolle spielen, wenn abseits der Piste Jemand in Schwierigkeiten gerät, zählen beispielsweise Kommunikationsprobleme, die Macht der Gewohnheit, Herdentrieb, Konkurrenz und viele mehr. Fredston und Fesler haben drei typische Fehler formuliert, die ihr euch gut merken könnt, um auch am Gipfel nochmal in euch zu gehen:
Bleibt also zu sagen, dass das Thema Verantwortung zu allererst bei euch selbst liegt. Je mehr ihr wisst, desto mehr Verantwortung könnt ihr tragen. Ihr könnt Bücher lesen, Lawinencamps buchen, oder mit dem studieren der Kurse an der Mountain Academy zu verantwortungsbewussten Freeridern werden. Ist euch das zu viel Aufwand, dann bleibt auf den Pisten oder spart euch das Geld für einen Guide oder ein Freeride Camp. Wenn ihr mit Leuten unterwegs seid die viel Erfahrung habe oder besonders gute Skifahrer sind, seid dennoch immer kritisch und denkt an Schaaf-, Pferd- und Löwen-Syndrom. Gute Shred-Buddies erkennt ihr daran, dass sie immer mit euch über Hangeischätzungen sprechen und im Gelände immer auf euch warten. Auch wenn mal jemand mit weniger Erfahrung mit dabei ist sollte es für eine verantwortungsbewusste Gruppe kein Thema sein, trotz Bluebird und Neuschnee an der Gipfelstation mal einen Rucksack zu vergraben um das Orten zu üben.
Heute habe ich mich aus aktuellem Anlass (Lawinen am Wochenende) mal etwas weiter vom Buch „Staying Alive in Avalanche Terrain“ von Bruce Tremper entfernt. Wer alles ausführlich und mit vielen anschaulichen Illustrationen nachlesen will und Englisch gut versteht, findet das Buch hier. ). Ich werde euch weiterhin aktuelle oder generelle Themen aus dem Buch herauspicken, um Denkanstöße zum Überleben abseits der Pisten zu geben.
Das nötige Wissen Wissen, sowohl für Einsteiger als auch für Fortgeschrittene, findet ihr in der wePowder Safety Academy. Die ersten beiden Kapitel von Course I und Course II sind kostenlos!
Shred save, Patrick